Arthur und Friedrich waren beste Freunde in der Jugendzeit und schreiben sich regelmäßig Briefe von Hamburg nach München. Der Briefroman entfaltet einen uralten Konflikt zwischen den beiden Protagonisten, welcher unlösbar scheint. Verbittert schildern die beiden Protagonisten ihre jeweilige Enttäuschung über den anderen und es entwickelt sich ein exzessiver Streit über die gemeinsame Vergangenheit im Jugendtreff auf dem Land. An einem kalten Novemberabend hatte es einen schrecklichen Unfall gegeben. Was aber ist wirklich mit Friedrich los? Verloren streift er durch die Hafenstadt und entwickelt augenscheinlich ein Alkoholproblem. Doch dann hat Arthur eine Idee: er will ein Fest organisieren.
1. München langweilt mich ohne Dich. Wie ergeht es Dir im Norden?
oder: Bier trinken am Hafen.
Lieber Friedrich,
wie ergeht es Dir im Norden? Oft denke ich an Dich in diesem anfänglich kalten und grauen Winter, in dem nassen München inmitten der Hochhäuser und weitläufig von buntem Laub bedeckten Isarauen. Du hast lange nichts von Dir hören lassen. Manchmal spaziere ich am Fluss und muss an Dich denken. Dann bist du mir ganz nah und nicht ganze 700 Kilometer entfernt, mein lieber Freund.
Was machst du die ganze Zeit? München langweilt mich ohne Dich.
Ich verbringe viel Zeit in der Wohnung, trinke Tee und treffe die üblichen Verdächtigen. Phillip und Lorenz, Anna, Franz und meine Brüder.
Wir spielen Schach, besuchen das Cafe` an der Ecke und gehen Sonntags ab und zu in das Museum. Wie Du weißt kosten die Museen in München am Sonntag nur einen Euro Eintritt und so kenne ich die Pinakothek der Moderne mittlerweile gut und die ägyptische Staatssammlung. Neu in der Stadt ist das Dokumentationszentrum für die Zeit des Nationalsozialismus, ein Neubau am Königsplatz. Diese grausame Nazizeit. Manchmal schämt man sich! Seit Du nicht mehr hier bist hat sich viel verändert: in deinem Zimmer wohnt jetzt eine portugiesische Austauschstudentin. Eine nette Frau mit der ich manchmal ausgehe und die ungefähr so trinkfest ist wie Mia. Weißt du noch? Mia und ihre Freundinnen hatten immer eine Flasche bunt eingefärbten Wodka aus dem Supermarkt dabei bei unseren Festen, als ob das Bier und die Weinschorle nicht gereicht hätte um gut gelaunt die Kratzer in den Schallplatten zu überhören.
Ich schreibe Dir ganz bald mehr,
Ich muss nun arbeiten gehen und hoffe schnell zu erfahren wie es Dir geht.
Bitte melde Dich, ja?
Dein Arthur
Arthur, mein Bester!
Entschuldige, dass ich mich länger nicht gemeldet habe. Hier bei mir war die Hölle los: ich bin doch umgezogen! Ich lebe jetzt in Niendorf nahe des Tierparks und brauche gerade mehr 25 Minuten mit der Hochbahn an den Hafen. Dort sitze ich auch gerade und schreibe Dir diese Zeilen. Es ist herrlich. Ich bin etwas außerhalb und trinke gerade ein kühles Bier und blicke auf die großen Containerschiffe auf Höhe des Elbstrandes. Maja und ich haben uns getrennt und die ganze Angelegenheit hat mich doch schwer getroffen! Aber du hast ja mitbekommen, dass wir uns am Ende einfach nicht mehr so gut verstanden haben. Ich verbringe viel Zeit am Hafen oder fahre mit der öffentlichen Fähre hinüber zur Musicalinsel, wenn Proben sind hört man die Darsteller ihre Lieder singen und es gibt dort einen Kiosk, der Fischsemmeln und Bier anbietet. Dort sitze ich dann und blicke hinüber zu den Touristenmassen an den Landungsbrücken und sinniere vor mich hin. Geschrieben habe ich schon länger nichts, ich fühle mich ausgelaugt und leer.
Auch ich denke oft an Dich und unsere gemeinsamen Jahre in Bayern. Ich vermisse Dich!
Hier in Hamburg bin ich manchmal einsam.
Ich laufe nachts durch die Stadt und besuche Kneipen, die aussehen wie ein Wohnzimmer.
Tatsächlich! Stell Dir vor, dass sind Lokalitäten nicht größer als ein Wohnzimmer mit Tresen und alten ausrangierten Sofas ganz ähnlich wie in unserem Jugendtreff. Ich habe mir neue Kopfhörer gekauft und so begleiten mich The Cure und Die Dresden Dolls auf Schritt und Tritt wenn ich die Stadt erkunde. Um ganz ehrlich zu sein geht es mir oft nicht gut. Ich scheine mit meinen trüben Gedanken mit dieser tristen grauen Großstadt zu verschmelzen und verbringe meine Zeit ohne wahrlich freundschaftlichen Halt und habe zahlreiche Sorgen. Der Umzug ist mir wahnsinnig auf den Geist gegangen und ich werde den Verdacht nicht los, dass Maja mich betrogen hat und dies schon eine längere Zeit. Mit einem Sprachlehrkollegen. Um mich abzulenken fahre ich wie erwähnt stundenlang mit der Hochbahn durch die Stadt und höre Musik. Traurige Musik.
Heute mag mich wieder nichts wirklich erfreuen, ich darbe ohne Dich an meiner Seite.
Oft frage ich mich, wie es Dir wohl ergeht in der Pandemie und im kalten, grauen November.
Mein Herz fühlt sich an als will es zerspringen!
Ich empfinde den unweigerlichen Drang Dir diese Zeilen zu Füßen zu legen und vermisse Dich, alter und treuer Freund. Ich vermisse meine Jugend. Sie ist mir entglitten.
Das älter werden macht mich fertig!
Vielmehr die Tatsache, dass die Lieben um mich älter werden und älter.
Tage voller trauriger Musik am PC, unproduktive zähe Stunden häufen sich in diesem anfänglich kalten, leider langem und viel zu dunklem Winter.
Es ist das Traurigste auf der ganzen Welt Briefe zu schreiben, die man niemals absendet.
Man will die Gedanken und Gefühle doch teilen, braucht ein Gegenüber.
Man meint die Freunde abwesend gründen diese erst einmal eine Familie. Ja: irgendwie doch!