Kongress in München „Privateigentum auf dem Prüfstand“
Am 17.09.2022 fand in München in der Seidlvilla ein Kongress zum Thema „Privateigentum auf dem Prüfstand“ der Münchner Gesellschaft für Philosophie, also der Zeitschrift Widerspruch in Kooperation mit der Rosa Luxemburg Stiftung Bayern und dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München statt.
Vor fünf Jahren war bereits eine
Widerspruch Ausgabe zum Thema „Die Eigentumsfrage“ herausgegeben worden. In der einführenden Ansprache machte ein Redaktionsmitglied darauf aufmerksam, dass der Unterschied zwischen Unverschämtem
Reichtum und Unaushaltbarer Armut in den letzten Jahren nur wenig den öffentlichen Diskurs bestimmte, dass allerdings seit Neuestem Die Linke fordere Energiekonzerne zu verstaatlichen und
ebenfalls öffentlich debattiert werde die Daseinsfürsorge in öffentliche Hand zu geben.
Man dürfe also ruhig auch eine radikale Fragestellung an die Öffentlichkeit herantragen, nämlich „Darf es überhaupt Eigentum geben?“
Die insgesamt fünf Beiträge zur Tagung hatten allesamt praktische Projekte oder theoretische Modelle jenseits des Privateigentums zum Gegenstand.
Zuerst berichtete Jenny Stupka, eine der Sprecher:innen der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, über den (überraschend) erfolgreichen Berliner Volksentscheid, die großen Immobilienkonzerne zu enteignen und den Wohnungsbestand in eine gemeinwohlorientierte Anstalt des öffentlichen Rechts zu überführen. Als ‚Geheimnis’ des Erfolgs hob sie einerseits die vielen bürger- und mieternahen Gespräche und Kampagnen der Initiative, andererseits die organisatorische Vernetzung und Koordination der stadtweiten Aktionen in offenen Plenen und Arbeitskreisen hervor. Aktuell allerdings stehe die Initiative vor dem Problem, auf der einen Seite den (unwilligen) Berliner Senat zu einer Gesetzgebung zu veranlassen, die den Sozialisierungsartikel im Grundgesetz konkretisiert, und auf der anderen Seite weiterhin den politischen Druck auf den Berliner Senat aufrechtzuerhalten. Dabei werde auch an eine Kampagne zum Mieterstreik gedacht. Wir erfahren, dass die Deutsche Wohnen der größte unter den Schlimmen Vermietern ist und dass man sich das Ziel „Gemeinwohl statt profitorientierter Nutzung“ gesteckt hat. Seit der Finanzkrise habe das Deutsche Kapital nach Anlagemöglichkeiten gesucht und viele Wohnungen seien systematisch aufgekauft worden, Ende der 1990er Jahre gar für einen Euro.
Der anschließende Vortrag von Silke van Dyk befasste sich mit den öffentlichen Gütern. Sie nahm den Vorschlag von Robert Castel auf, nach dem der Zugang zu den öffentlichen Gütern der Bildung, Gesundheit und Daseinsvorsorge keine karitativen „Geschenke“ seien, sondern die sozialen Rechte jeder/n Bürgers/in, auf die er/sie folglich einen Eigentumsanspruch haben. Dieses Konzept eines privaten Eigentums an öffentlichen Gütern will van Dyk allerdings dahingehend erweitern, dass die sozialen Rechte zugleich als ein kollektives Eigentum verstanden werden müssen, über das das Kollektiv gemeinschaftlich verfügt und über dessen Nutzung demokratisch entschieden wird.
Der dritte Beitrag war ein Film über
VioMe, eine von den Arbeiter:innen 2011 übernommene und selbstverwaltete Fabrik zur Herstellung von biologischen Reinigungsmitteln in Thessaloniki, deren Produkte unter anderem von „Der Seiferei“
in Augsburg vertrieben werden. Der Film zeigte anschaulich die langjährigen Kämpfe der Arbeiter:innen um die Fortführung ihres selbstverwalteten Betriebs gegen den ehemaligen Besitzer und
rechtlichen Privateigentümer der Fabrik sowie gegen die Boykottversuche des griechischen Staates, die durch eine breite nationale und internationale Solidaritätsbewegung unterstützt werden.
Die Augsburger Vortragenden waren auf die besetzte ehemalige Industriekleberfabrik erst durch die ARTE Doku „Klassenkampf mit Bioseife“ aufmerksam gemacht worden und verkaufen jeden Samstag in
ihrem Ladengeschäft nun die biologischen Reinigungsprodukte wie Waschmittel, Handseife usw.
Außerdem wurde eine Soli CD „VioMe Occupy Resist Produce“ Repeat aufgenommen mit revolutionärem griechischem Hip Hop, aber auch deutschen Interpreten wie Das Hobos und Franz Dobler mit Titel „Wer
macht den Dreck und wer macht die Wäsche?“
Ein Betrieb der basisdemokratisch ohne Chef organisiert ist? Es funktioniert. Übrigens ist die „Schwarze Null“ Unternehmensauftrag.
Nach der Mittagspause trug Friederike Habermann das Konzept einer gemeinschaftlichen Güterproduktion jenseits des Marktes und kapitalistischer Ausbeutung vor. Dessen wesentlichen Merkmale sind zum einen, dass in ihr nicht gekauft oder getauscht wird – und daher das Eigentum keine Rolle mehr spielt –, sondern dass von den Produzenten ein Beitrag geleistet wird; und zum anderen, dass die Arbeitsmotivation nicht im Zwang zur (Lohn-)Arbeit besteht, sondern dass die Arbeit aus einem inneren sozialen Bedürfnis heraus geschieht.
Den letzten Vortrag hielt Alexander von Pechmann. Er rückte die globale öko-soziale Krise ins Zentrum und verneinte, dass die kapitalistische Eigentumsordnung imstande sei, diese Krise zu lösen. Er plädierte für eine global verbindliche Rechts- und Eigentumsordnung jenseits des Privateigentumsrechts und der nationalen Souveränität, die den Zwang zur internationalen Kooperation einschließt. Pechmann zitierte Marx der sagte „Gesellschaften und zwar alle zusammen sind lediglich Nutznießer dieser Erde.“
In der abschließenden Podiums- und Plenumsdiskussion kamen vor allem zwei grundlegende Themen zur Sprache: Besteht linke Politik heute in der Überwindung des und in der Befreiung vom Recht auf Eigentum überhaupt oder in der Transformation der Gesellschaft in die Alternative eines gemeinschaftlichen Eigentums? Zweitens: Was versteht man eigentlich unter „Eigentum“, und wo sind die Grenzen eines sinnvollen Gebrauchs dieses Begriffs.
Es war ein spannender Tag an diesem
Samstag, an dem das Oktoberfest eingeläutet wurde und ich am späten Nachmittag bei der Heimfahrt bereits den ersten Trachtler in aller Öffentlichkeit über einen Mülleimer gebeugt sah.
Miriam Gil